Jordanien - Wüste, Weite, Weltwunder
Mit dem MTB vom Toten Meer zum Roten Meer
Ein bisschen verrückt ist es ja schon, ein Weltwunder wie Petra mit dem Rad besuchen zu wollen. Immerhin liegt die Felsenstadt inmitten der jordanischen Wüste und ist umgeben vor Bergen, deren Anstiege viel steiler sind als ursprünglich gedacht. Doch Petra ist zweifelsohne der kulturelle Höhepunkt der geführten Radtour vom Toten ans Rote Meer. Als die 13 Biker dieser Tour von Hauser Exkursionen schließlich auf das Weltkulturerbe zufahren, haben sie bereits fünf Tage im Sattel gesessen und dabei 330 Straßenkilometer sowie 4500 Höhenmeter im Aufstieg bewältigt.
Der Auftakt dieser Reise in einem Vorort der jordanischen Landeshauptstadt Amman beginnt dabei harmlos und führt zunächst zum Moses-Berg Nebo. Erstmals hatten hier der Prophet und das Volk Israels nach einer vierzig Jahre langen Wanderung das Tote Meer und das Gelobte Land erblickt. Sand und Staub wirbeln bei der Besichtigung des Geländes und der Kirche durch die Luft, weder vom Toten Meer noch von Palästina und Israel ist etwas zu sehen. Beeindruckend sind allerdings die zerklüfteten Felsformation mit ihren weiten Tälern und glatten Bergrücken. Für Offroad-Biker wären sie ein kleines Fest, unsere Gruppe dagegen wird heute auf der Straße bleiben. Schon die Abfahrt vom Moses Berg ist eine Herausforderung. Eigentlich konnte man es richtig laufen lassen. Doch der heftige Seitenwind und die Böen sind so stark, dass es gilt, nicht zu schnell zu fahren, um nicht vom Wind zur Straßenmitte abgedrängt zu werden. Ein bisschen mehr Abenteuer als erwartet ist das für den ersten Tag dieser Reise, und ob dieser Bedingungen ziehen sich auch die 72 Kilometer bis zur Unterkunft bei einer jordanischen Familie in die Länge.
Spannend ist immer wieder, welche Charaktere bei einer Tour wie dieser mit dabei sind - und welche Geschichten die Teilnehmer zu erzählen haben. Wer schließlich radelt in seinem Urlaub 450 Kilometer und 5.500 Höhenmeter durch Jordanien? Es sind meist Menschen, die das Besondere suchen, offen sind für Anstrengungen, aber keine Lust haben, sich um die Streckenführung oder gar die Unterkunft zu kümmern. Es geht um intensive Erlebnisse - und natürlich ums Radeln.
Dave beispielsweise, einer von vier Kanadiern, hat im wirklichen Leben mit Radfahren herzlich wenig zu tun. Er baut als Wind-Ingenieur an der Stadt der Zukunft. Gar nicht weit entfernt von Jordaniens Grenze soll in Saudi-Arabien die erste emissionsfreie Stadt der Erde entstehen - „The Line“, 170 Kilometer lang, aber nur 200 Meter breit und komplett autofrei.
Der Ire Alex dagegen ist auf einen schweißtreibenden Ausflug in die Realität. Zu Hause sitzt er Tag für Tag am PC und erstellt statistische Algorithmen für Sportwetten. Wenn ihm die Bildschirmarbeit zu viel wird, bucht er eine längere Radtour, um im wahrsten Sinne des Wortes abschalten zu können. Ein charmanter, witziger Typ, der am Ende mit seiner kompletten Radkluft ins Rote Meer steigen wird. Ein Ritual? „Nein“, grinst er, „das Trikot hat nach sieben Tagen wirklich gestunken“.
Und dann gibt es auf der Radreise durch diese karge Wüstenlandschaft noch eine Liebesgeschichte, wie sie schöner kaum sein könnte. Der Engländer Rob ist exakt diese Tour vor zehn Jahren schon einmal gefahren, und er hat noch eine Rechnung offen. Damals war er auf der Etappe zur Kreuzritterfestung Karak, an einem 25 Kilometer langen Anstieg mit 1.300 Höhenmetern, gescheitert. Von seiner heutigen Freundin Frances wusste er damals noch nichts, er lernte sie erst vor drei Jahren kennen. Aber sie kennt natürlich die Geschichte und springt daher genau auf dieser Etappe bei einem Halt plötzlich aus dem Begleitbus. Kurz zuvor hatte sie selbst aus Erschöpfung abgebrochen, jetzt aber sprintet sie bergab in Richtung Rob. Der ist von der Anstrengung schon deutlich gezeichnet und tritt langsam und mit großer Mühe in die Pedale. Es scheint fast, als würde er erneut scheitern. Doch sie feuert ihn an, schreit, klatscht, joggt zweihundert Meter mit ihm bergauf. Und setzt damit vielleicht genau die Energie frei, die ihm gefehlt hätte.
Denn gut eineinhalb Stunden später hat er die Serpentinen bis hinauf zur Festung tatsächlich bewältigt. Und er verrät, was man seinem verliebten Blick ohnehin ansieht: „Frances ist für mich einfach perfekt. Außerdem macht sie jede Tour, die ich vorschlage, begeistert mit.“ Wie schön, dass die beiden bald heiraten werden: Rob ist dann 65, Frances 61. Fast möchte man dabei sein, um so viel Glück hautnah erleben zu können.
Der Tiefpunkt als Spektakel
Der tiefste Punkt der Erde steht an, das Tote Meer. Und damit auch die mit 1.200 Höhenmetern steilste und spektakulärste Abfahrt dieser Tour. In halsbrecherischen Serpentinen und geraden Streckenteilen, in denen das Rad unerwartet viel Geschwindigkeit aufnimmt, geht es rasend schnell nach unten. Trotzdem halten die Biker immer wieder an und genießen die Aussicht auf das tiefe Blau des Meeres oder auf die Siedlungen am anderen Ufer, auf das palästinensische Westjordanland und Israel.
Da gut geplante Radtouren neben dem Biken auch einen erholsamen Aspekt beinhalten, steht nach der Abfahrt ein Bad im Toten Meer auf dem Programm. Schon am Ufer liegen dicke Salzkrusten, die sich unter der Wasseroberfläche fortsetzen und ein unvergleichliches, türkises Farbenspiel produzieren. Das Tote Meer ist warm, aber aufgrund des zehnmal höheren Salzgehalts gegenüber Meerwasser kaum zum Schwimmen geeignet. Der Versuch, Brust zu schwimmen, scheitert grandios, da der Auftrieb Brust und Hintern nach oben drücken. Wer dagegen auf dem Rücken umherpaddelt, kann zwar problemlos Zeitung lesen, bringt aber beim Aufstehen die Füße kaum mehr auf den Grund.
Der sportlichste Teilnehmer der Truppe ist der Guide selbst. An Anas ist kein Gramm Fett zu finden. Seine gut 57 Kilo Körpermasse bestehen wohl hauptsächlich aus Muskeln, die für das Radfahren zuständig sind. „Ich bin als Guide jedes Jahr etwa 20.000 Kilometer mit dem Rad unterwegs“, sagt der 36-Jährige. Im Gegensatz dazu fährt der durchschnittliche Deutsche nur gut 11.000 Kilometer pro Jahr - allerdings mit dem Auto.
Vor Jahren war Anas Teil der jordanischen Radnationalmannschaft, heute leitet er Biketouren für Hauser Exkursionen. Vor allem Europäer, sagt er, finden die Kombination von Kultur und Radfahren spannend: „Sie haben längst erkannt, dass man das Land mit dem Rad sehr viel intensiver kennenlernen kann als während einer Busreise“.
Der größte Gewinn auf Wander- oder Radreisen ist die behutsame Annäherung an das Land. Wobei gerade in Jordanien ob der vielen Steigungen auch gar nichts anderes übrig bleibt, als langsam zu fahren. Es ist genügend Zeit, in aller Ruhe die sich stets verändernde Landschaft zu genießen. Oder einfach verblüfft das Rad anzuhalten, um das nächste Ziel bereits aus weiter Ferne zu bewundern: die Kreuzritterburg Shobak beispielsweise, die wie eine Fata Morgana auf einem Berg zu schweben scheint.
Der Höhepunkt dieser Radtour aber ist Petra. Die Felsenstadt mit ihren rötlichen Gesteinsformen, Schluchten und spektakulären Aussichtsplattformen ist ein unvergleichbares Wunder. Doch erst die unermüdliche Arbeit der einstigen Handwerker, die detailverliebte Tempelfassaden und tiefe Höhlen in den weichen Stein gruben, haben die 2.000 Jahre alte Stadt zu einem der spektakulärsten Kulturgüter überhaupt erhoben. In einer Reihe mit den „neuen Weltwundern der Neuzeit“, Chichén Itzá, der Chinesischen Mauer, der Christo-Redentor Statue, dem Kolosseum, Machu Picchu und dem Taj Mahal hat Petra einen würdigen Platz eingenommen.
Tags darauf steht ein letzter Aufstieg von 500 Höhenmetern bevor und die vorletzte Etappe dieser Tour in die atemberaubende Wüstenlandschaft des Wadi Rum. Während die Strecken bisher fast aus schließlich aus geteerten Nebenstraßen bestanden, bildet nun Sand und Geröll den Untergrund. Die Sandstein- und Granitformationen der Berge in diesem riesigen Sandspielkasten sind schlichtweg überwältigend. Genießt man den Sonnenuntergang in dieser Wüste wie aus dem Bilderbuch dann auch noch von einem höher gelegenen Fels, endet dieser Tag so, wie alle Tage ausklingen würden, könnte man es sich aussuchen. Von Anfang bis Ende perfekt.
Längst haben sich die Muskeln an die Anstrengung gewöhnt, daher sind die letzten 55 Kilometer teils durch den Sand des Wadi Rum kein Problem mehr. Außerdem hat die Gruppe das Ziel vor Augen: den Golf von Akaba und das Rote Meer. Eine vierspurige Straße führt hinein in die Stadt Akaba, die Biker tauchen wieder ein in das normale Leben mit drängelnden Autos, vollen Bussen, Verkehrslärm und Bars. Ein Kontrastprogramm, wie es intensiver nicht sein könnte. Fast sehnt man sich schon jetzt zurück in die stille Weite der Wüstenlandschaft des Wadi Rum.