Berge, Bären und wilde Ströme - Alaska
Denali
Gestern waren die Berggipfel vor mir noch braun, heute sind sie schon leicht angezuckert. "Termination Dust" nennt man hier den ersten Schnee auf den Bergen, der das Ende des Sommers ankündigt. Ich sitze am windigen Polychrome Pass in gut 1.000 Metern Höhe und vor mir erstrecken sich die Gipfel der Alaska Range, aus deren Tälern sich nicht weniger als fünf Flüsse durch breite Flussbette den Weg auf die Ebene bahnen. Wie geflochtene Zöpfe glänzen die kleinen, verschlungenen Rinnsale im Zwielicht bis sie sich zu meinen Füßen zu einer großen Bahn vereinen.
Die Wolken hängen tief über den Gipfeln und zwischendurch lässt die Sonne die Hänge in unterschiedlichen Grün-, Gelb- und Rottönen erstrahlen. Von gestern auf heute hat das Rot deutlich zugenommen. Die rote Verfärbung des Fireweed Grases ist ebenfalls ein sicheres Zeichen, dass der Winter vor der Tür steht.
Obwohl erst Ende August, scheint hier schon der Herbst angekommen zu sein. Die kleinen Sträucher, Gräser und Moose, die einen dichten, weichen Teppich über dem Dauerfrostboden bilden, legen schon ihr strahlendes Herbstkleid in leuchtenden Farben an, bevor sie für die nächsten Monate wieder unter einer dichten Schneedecke verborgen sind. Von den Felsen unter mir tönt ein kurzes Pfeifen herauf und ich sehe ein kleines Murmeltier zu mir hinaufschauen, bevor es im dichten Gestrüpp verwindet. Ansonsten bin ich alleine in dieser kargen Landschaft und genieße das Schauspiel, das mir die Natur bietet. Als ich mich umdrehe, entdecke ich hinter mir einen riesigen Regenbogen, der die Berghänge in allen Farben schimmern lässt. Der Polychrome Pass macht seinem Namen alle Ehre.
Copper River
Der Wind peitscht mir den kalten Regen ins Gesicht, die Wellen schlagen gegen den viel zu wackeligen Rand des Schlauchbootes, auf dem ich sitze. Meine Mit-Leidensgenossen sind wie ich bis zur Unkenntlichkeit vermummt. Nur Günter neben mir ist an den Wäscheklammern, mit denen er seine Regenkapuze befestigt hat, zu erkennen, und Bernds leuchtend gelber Regenhut im Boot vor uns erzeugt die schwache Illusion von Sonnenschein.
Von vorne kommt das Kommando "Paddle forward!" und wir tauchen die Paddel in das milchige Wasser des Gletscherflusses. Nach zwei Minuten melden sich schon meine Armmuskeln von der ungewohnten Bewegung. Fünf Tage auf dem Fluss und die Nächte im kalten Zelt! Das kann ja heiter werden, wenn das Wetter so bleibt.
Als wir gegen Mittag auf einer Sandbank anlegen, sind meine angeblich wasserdichten Handschuhe völlig durchnässt, und in meine Zehen kommt erst nach einigen Schritten auf festem Boden wieder etwas Gefühl. Doch unsere Guides sind wohl Regen gewohnt und spannen mithilfe der Ruder und etwas Treibholz eine Plane, unter der wir unsere Sandwiches im Trockenen schmieren können. Sogar ein kleines Lagerfeuer gibt es, an dem wir uns die Hände wärmen können.
Der Regen hat mittlerweile aufgehört und wir lassen unser Boot von der Strömung treiben. Bis auf das Rauschen des Flusses ist es still. Rechts und links ragen Berghänge aus dem Wasser, teils grün mit Tannen bewachsen, felsig in den höheren Regionen. Keine Spur von menschlicher Zivilisation. Die Wolkendecke vor uns reißt etwas auf und lässt das blaue Eis des Gletschers auf einer Bergflanke vor uns durchschimmern. Neben mir deutet Ursula auf das Wasser vor uns: ein Seehund streckt seinen Kopf aus dem Wasser und beäugt neugierig das Boot mit seinen Insassen, und taucht auch schon wieder elegant unter. Kurz darauf zieht ein Seeadler seine Kreise über dem breiten Fluss.
Wir sitzen still und lauschen den Geräuschen der Wasserwirbel am Ufer, ergriffen von der überwältigenden Natur, die uns umgibt. Zwei kleine Schlauchboote auf einem riesigen Fluss, ihm ausgeliefert mit all seiner Schönheit und seinen Launen. Fünf Tage nur?
Katmai
Enttäuscht schaue ich zu den kleinen Stromschnellen, wo der Fluss den See verlässt. Ein paar Lachse springen, aber sonst ist alles ruhig und friedlich. "Der Bär ist schon wieder weg." sagt Bernd, der schon eine Weile auf einem Baumstamm im Sand sitzt. Schade, denke ich mir. Jetzt sind wir extra noch mal zum See hoch gelaufen, nachdem sich bei den Wasserfällen auch kein Bär blicken ließ.
Ich drehe mich um und will wieder zurückgehen. Plötzlich ruft Imelda "Da ist er ja!". Und wirklich, knapp vor uns kommt ein Braunbär aus dem hohen Gras und bewegt sich auf den Fluss zu. Kurz halte ich den Atem an und lasse mich dann zu den anderen in den weichen Sand des Seeufers sinken. Zu viert sitzen wir hier nun aufgereiht, vor uns liegt noch ein Fotograf mit riesigem Tele im Sand und man hört nur das Klicken der Fotoapparate.
Gemächlich steigt der Bär vor uns ins Wasser, schaut mal kurz um sich und blickt dann zu den springenden Lachsen hinüber. Er taucht den Kopf unter Wasser, wie um dort nach einem Lachs zu suchen. Nur die kleinen, runden Ohren vom Kopf sieht man noch an der Wasseroberfläche. Dann kommt der Kopf wieder hoch, leider ohne Fisch. Ein kurzes Schütteln, um das Wasser aus dem dichten Fell loszuwerden. Dann marschiert er über die Felsen weiter Richtung Flussmitte. Plötzlich hechtet der massige Körper los und wirft sich ins Wasser, das rundherum spritzt. Man ist an ein kleines Kind erinnert, das tollpatschig spielt, wären da nicht die scharfen Krallen zwischen denen sich nun ein Lachs windet. Kunstvoll wird dem Fisch die Haut abgezogen und der Kopf abgebissen. Dann landet er achtlos im Wasser - zu groß ist die Auswahl an Leckerbissen.
Auf der Ausschau nach Lachsen bewegt sich der Bär durch das Wasser langsam in unsere Richtung, schaut manchmal auf, lässt sich aber sonst durch unsere Anwesenheit nicht stören. Ich bin ganz vertieft in die Beobachtung, habe längst die Kamera sinken lassen, um nichts zu versäumen. Plötzlich sagt der Fotograf: "Ok, move back", der Bär ist schon gefährlich nahe - viel näher als die empfohlenen 50 Meter. Langsam bewegen wir uns rückwärts, um etwas mehr Abstand zwischen uns und den Lachsjäger zu bringen. Der scheint aber inzwischen satt sein und dreht uns sein wohlgenährtes Hinterteil zu, um schließlich zwischen den Bäumen am anderen Ufer zu verschwinden.
Wir schauen uns gegenseitig an, jeder mit einem Lächeln auf den Lippen, und sind noch ganz verzaubert von der Show, die uns geboten wurde.