Montenegro - Alleine durch die Schwarzen Berge
Ich war der einzige Gast. Ende Mai gab es auf der Katun-Goles-Alm noch keine Kühe und keine Schafe, nur Srdan und seinen Hund. Ich war acht Stunden unterwegs gewesen und froh, endlich angekommen zu sein. Srdan kochte für mich und zeigte mir mein Nachtlager: eine Holzhütte mit Bett. Mehr brauchte ich gar nicht. Für die äußeren und inneren Waschungen gab es Wasser und Bier. Es war der dritte Tag meiner Individualtour in Montenegro, die ich bei HAUSER gebucht hatte. Im freundlichen Büro in Wien wurde mir ein Roadbook übergeben, in dem exakt stand, wohin ich täglich gehen sollte. Jeder Meter und jede Wegänderung war beschrieben. Eine Herausforderung für Wanderer, die much risk und much fun suchen.
Begonnen hatte es zwei Tage davor in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica. Dort wurde ich am Flughafen von Boris abgeholt und in den Durmitor-Nationalpark gefahren. Zwei lehrreiche Stunden, in denen mir Boris von dem kleinen Balkanstaat erzählte. Er sprach Deutsch und Englisch. Die erste Unterkunft war ein Bio-Hotel mit freundlichem Personal. Dort bekam ich auch Landkarten und Informationen, was mich in den nächsten Tagen in den Bergen erwarten wird. Aja, und ich bekam auch ein Handy, mit dem ich Verbindung zu Slado, meiner Kontaktperson in Montenegro, halten konnte. Slado sprach perfektes Englisch. Das Handy war die elektronische Nabelschnur zur Zivilisation, sollte ich in Schwierigkeiten sein. Am Abend brütete der Himmel ein Gewitter aus. Ich ging früh schlafen.
Die erste Tour führte auf die Crevena Greda, einem einsamen Gipfel im Durmitor.
Sieben Stunden Gehzeit und 750 Höhenmeter standen im Programm. Von Zabjlak ging es durch einen Märchenwald bergauf, der sich dann lichtete und in felsiges Gelände führte. Das Roadbook leitete mich, und der Steig war sogar markiert. Auf 1.900 m war es mit der Eindeutigkeit vorbei. Die Markierungen verschwanden unter einer Schneedecke, und die Lotsenfunktion des Roadbook wurde nutzlos. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich mich wenden sollte. Ich packte mein privates GPS aus. Es gab mir die Richtung an, führte mich über die Schneehänge, durch Felsgassen und an Dolinen vorbei zum Gipfelhang. Nach vier Stunden stand ich ganz oben, wo mich ein Steinmann anlächelte und mir versicherte, dass ich nun am Gipfel und 2.164 m hoch war. Dort saß ich lange, denn es gab viel zu schauen. Das Licht lag wie ein Traum über dem Meer aus Fels und Schnee. Der Abstieg erfolgte dann auf einem gut markierten Pfad, der Seeblick und Waldpassagen bot.
Zweiter Tag der Selfguided-Reise
Am nächsten Tag wurde ich mit einem Auto abgeholt und in den Biogradska-Gora-Nationalpark gebracht.
Die Straße führte der tiefsten Schlucht Europas entlang, in der sich die Tara eingegraben hat. Der Fluss entwässert ins Schwarze Meer. Ein Dorado für Wildwasserfahrer, Rafter und Zipline-Rutscher. Mein Chauffeur setzte mich in einer unbewohnten Gegend aus und zeigte mir den Beginn meines Weges. Auf diesem sollte ich nach 850 m Steigens die oben erwähnte Katus-Goles-Alm erreichen. Der Weg war wie aus einem Heimatfilm der kitschigen Art. Ich legte es gemächlich an und gelangte nach fünf Stunden zum Biogradsko Jezero, einem Gletschersee, der für Freunde von Urwaldfeeling ein Highlight ist. Fliegendes und kriechendes Getier bot ein Kammerkonzert vom Feinsten. Dann wurde es haarig. Ich fand den Weiterweg nicht. Es war 18 Uhr, und über mir kochte sich der Himmel ein Gewittersüppchen. Mein GPS hatte den Weg zur Hochalm gar nicht im Programm, und das Roadbook lieferte nur einen unpräzisen Dreigroschentext: „An der Weggabelung gehen Sie den Pfad weiter …“ Super. Es gab vier verschiedene Wege. Ich stand rat- und orientierungslos in einem finsteren Wald. Plötzlich doch ein Lichtblick. Auf einem Baum fand ich eine verblasste Markierung. Der nächste Donnerschlag beschleunigte nicht nur meine Adrenalinpumpe, sondern auch meine Schritte. Es folgte ein sehr steiler Weg mit abgeblätterten Markierungen. Auf kurzer Distanz waren 500 Höhenmeter zu überwinden. Das Gewitter hatte Erbarmen mit mir. Nach einer Stunde erreichte ich noch trockenen Fußes die einsame Alm. Halleluja.
Immer weiter durch die schwarzen Berge
Der vierte Tag führte mich auf einen Bergkamm der Bjelasica mit Ausblicken auf die Seen, Täler und Gebirgszüge der Umgebung.
Ich befand mich auf 2.000 Meter und bestieg alle Gipfel, die auf dem Weg waren. Der Steig verkümmerte manchmal zu einer Spur, was aber nichts machte. Der Weiterweg war immer gut einzusehen. Es war ein Wandern wie in einem botanischen Garten. Blumen in allen erdenklichen Farben und Gestalten kamen mir wie Running sushis entgegen. Am Ende des Hochweges kam ich zu einer staubigen Straße. Mein Roadbook empfahl mir die Besteigung des Zekovalglava, den zweithöchsten Berg des Nationalparks. Ich schlug die Empfehlung nicht aus, was ich dann aber bereute. Es wurde ein langweiliger Hatscher auf einer Staubstraße, der ins Mekka der Ereignislosigkeit führte. Der Gipfel war eingezäunt und militärisches Sperrgebiet. Der Abstieg über Vranjak, einer austapezierten Almlandschaft, war dann wieder ein Leckerbissen. Am Ende der Tagestour rief ich Slado an, der mir ein Taxi zu einem Hotel nach Kolasin schickte. Jetzt erfreute mich eine warme Dusche und weiches Bett. Nach Tagen der Einsamkeit war ich wieder unter Menschen und genoss den Abend.
Am nächsten Tag brachte mich die Eisenbahn von Kolasin nach Podgorica.
Ich erwischte einen aussichtsreichen Stehplatz am Gang und wurde gerührt und geschüttelt. Was macht das schon, wenn man durch einen grandiose Landschaft fährt? In Podgorica lernte ich endlich Slado kennen, den ich jeden Tag am Morgen vor dem Start und am Ende der Tagestour telefonisch kontaktiert hatte. Er holte mich vom Bahnhof ab und zeigte mir Cetinje, eine Kleinstadt in Sonntagsstimmung. Kaffee, Kuchen und neue Informationen. Dann brachte mich Slado zu meinem nächsten Startpunkt. Es ging vom Jezerski Vrh hinunter in ein Hüttendorf im Nationalpark Lovcen. Der zweistündige Nachmittagsweg war kein komplizierter Zeitgenosse. Auch hier hatte die Natur keinen Genierer, wenn es um Kitsch ging. Diesmal bewohnte ich wieder eine kleine Hütte vor der Kühe grasten, Grillen zirpten und Vögel trillierten. Dazu aß ich ein Lammgericht und trank mehrere Biere. Botox für die Seele.
Die Selfguided-Reise neigt sich dem Ende zu
Am vorletzten Tag spazierte ich lange auf einem Höhenzug dahin, bevor ich eine Felskante erreichte, an der ich weit unten die Stadt Kotor sah. Eingebettet in eine Fjordlandschaft und umgeben von einer Stadtmauer lag das UNESCO-Weltkulturerbe. Die Sonne machte das Wasser zu einem glitzernden Spiegel. In der Stille, die diesen magischen Platz umgab, hatte ich den Eindruck, die eigene Zellteilung zu hören. Dann ging es ganz steil in gefühlten tausend Serpentinen hinunter. Die Stadt kam nur langsam näher, da ich viele Pausen machte. Ich weiß gar nicht mehr, wo das Schauen aufhörte und das Schwärmen begann. Am Ende stolzierte ich mit Kaugummibeinen durch das Stadttor und wurde von einem Taxi in ein schönes Hotel gebracht.
Am letzten Tag verzichtete ich auf die vorgesehene Bergtour, die auf die alte Festung Vrmac geführt hätte. Es war mir zu heiß. Ich genoss ein Bad im Meer, aß guten Fisch und besichtigte Kotor. Hunderte schwitzende Kreuzfahrtpassagiere bevölkerten die engen Gassen und verbreiteten ein Dubrovnik-Feeling.
Schon nach drei Stunden sehnte ich mich wieder nach der Einsamkeit der Schwarzen Berge. Wo kann man sonst noch unbekannte Gipfel und sich selbst besser kennen lernen?